
„Ich halte es für besser, erst einmal Großes zu entwerfen…“
von Frank Träger, Gründer der Klaus Mann Initiative Berlin e.V.
Eigentlich bin ich Fredric Kroll erst zweimal im Leben begegnet. Da dieses Zusammensein alles andere als flüchtiger Natur war, erlaube ich mir dennoch gleich zu Beginn ein Urteil: Fredric Kroll ist ein Segen für unsere Initiative. Und er ist es für unsere jüngere Generation. Eigentlich ist es ein Treppenwitz der Geschichte, eine ‚Ironie des Schicksals‘: Unsere junge Literaturgesellschaft hat ihre Wurzeln nicht im Universitären. Und das, was auch die schwulen Altachtundsechziger im Westen Berlins nicht auf die Reihe bekommen haben, blieb mir – einem des Bedarfs wegen aus der ostdeutschen Provinz nach Berlin versetzten Studienrats – und zwei meiner ehemaligen Schüler, Konstantin Rau und Markus Reiniger, überlassen: die erste Literaturgesellschaft zu Klaus Mann auf den Weg zu bringen. Die Vorurteile des etablierten Berliner Literaturbetriebes – und nicht nur des Berliners – waren immens: Unsere Initiative wurde teilweise wie ein „im Weinberg der Literaturwissenschaft wütender Eber“ behandelt. Ob da berechtigte Vorbehalte oder vorurteilsbeladene Standesdünkel eine Rolle spielten, sei dahin gestellt. Eines steht fest: Die Manns haben nicht für Literaturwissenschaftler geschrieben.
Was die Vorurteilsbeladenen betrifft: Fredric Kroll, der Nestor der Klaus-Mann-Forschung, gehörte und gehört jedenfalls nicht dazu! Noch bevor ich mich damals schriftlich an Fredric wenden konnte, erreichte mich seine Mail. Er hatte durch Detlef Grumbach von uns erfahren und sich daraufhin unsere Homepage angeschaut. Wohl gemerkt: ER hat sich an UNS gewandt!
Die Tatsache, dass Fredric Kroll ein Segen für uns ist, heißt nicht, dass es sich hier um ein harmonisches Verhältnis handelt. Es war und ist ein hartes Ringen um das Verständnis des anderen und um Maßstäbe.
Ein Beispiel: Mitten in den Vorbereitungen zur Aufführung seiner Oper „Der scharlachrote Buchstabe“ in Hamburg wandte sich Fredric Kroll an mich. Er mache sich Gedanken über die „Zeit nach der Oper“. Er wolle, so Kroll wörtlich, „nicht in Musik ertrinken“, sondern sich wieder mal „mit einer Prise Klaus Mann erfrischen“. Gegenstand seines Interesses war die Übersetzung bzw. Bearbeitung von Klaus Manns „letztem wirklich vollständigen dichterischen Text – The Chaplain“. Seine Arbeit wollte er exklusiv unserer KLAUS MANN INITIATIVE BERLIN zur Verfügung stellen, die mit der „Dramatischen Lesung“ eine hervorragende Möglichkeit hätte, den 108. Geburtstag des Autors würdig zu begehen. Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Hamburger Opernprojektes forcierte er die Arbeit an der Übersetzung, der Ausarbeitung des Vortrages und der Lesung. Als alles fertig war, wandte er sich im Frühsommer 2014 damit und mit konkreten Vorstellungen über die Realisierung der „Dramatischen Lesung“ an unsere Initiative. Die Darstellungen Fredric Krolls lösten bei Vorstandsmitgliedern gemischte Gefühle aus. Neben Dankesbekundungen gab es auch ein eher vernichtendes Urteil eines älteren – mit Fredric bekannten – Vorstandsmitgliedes: Kroll würden Rosinen im Kopf wachsen, die Initiative wäre mit dem Projekt finanziell und organisatorisch überfordert. Die unmissverständliche Forderung an mich als Vorsitzenden lautete: „Sag‘ ihm ab!“
Was Fredric Kroll – mit dieser Auffassung konfrontiert – antwortete, könnte als das Cedo seines jahrzehntelangen Wirkens gelten: Er hielt sich nicht lange mit der Kritik an diesem an sich widersinnigen Bild auf (Rosinen sind getrocknete Weinbeeren und können gar nicht wachsen), sondern formulierte:
„Als ich 1969 über Klaus Mann promovieren wollte, hielten das meine Professoren in Rochester ebenfalls für eine Rosine. Hätte ich diese Rosine aus meinem Kopf gebannt, hättet Ihr mich nie kennengelernt, und die Klaus-Mann-Forschung hätte ohne mich auskommen müssen (was sie vermutlich auch geschafft hätte). In der heutigen Zeit eine Oper im Stil von Puccini zu komponieren, galt bis vor Kurzem ebenfalls als Rosine. Und warum nicht auch gleich Rosinenbrötchen? Ich halte es für besser, erst einmal Großes zu entwerfen und es nach und nach den Notwendigkeiten anzupassen, als sich von vornherein unnötiger Weise einzuschränken und weniger zu erreichen, als vielleicht doch noch machbar gewesen wäre. Das erst einmal grundsätzlich“ (Fredric Kroll an Frank Träger, 26.06.2014).
Als Außenstehender dürfte man ehrfürchtig erstaunen, wenn man diese „Agenda“ liest. Anders verhält es sich, wenn man – wie ich – in die Rolle seines Mitstreiters gerät. Da kann der Grundsatz „erst einmal Großes zu entwerfen“ auch schon mal zur schweren Belastung werden. Um am Beispiel „The Chaplain“ zu bleiben:
Fredric Krolls Vorstellungen über die Ideal-Besetzung der Rollen ging sehr stringent „vom Entwurf des Großen“ aus. Dies völlig losgelöst von „profanen“ Erwägungen, allen voran den Kosten. Entsprechend wuchs sich der Streit in dieser Sachfrage zu einem ernsthaften Beziehungskonflikt aus.
Es gehört zur Größe Fredric Krolls, dass er weiß, wann Schluss ist. Inmitten der Krise rief er mich an und alles konnte binnen kurzer Zeit auf ein handhabbares Level gebracht werden. Die Rollen wurden neben Fredric von Mitgliedern unserer Initiative gelesen. Der Vortrag und die „Dramatische Lesung“ in der Berlin-Friedenauer Buchhandlung „Der Zauberberg“ an Klaus Manns 108. Geburtstag waren dann auch ein Riesenerfolg. Abgesehen davon: Die im Kompromiss gefundene Lösung erlaubte es Fredric, zu einem wirklichen Miteinander mit der Berliner Initiative zu gelangen.
Vor allem mit der Jugend! Ich muss etwas aushohlen: Es gehört zum Credo unserer Initiative, dass wir Klaus Mann beim Wort nehmen. Unsere Intention: Wir lesen seine Werke und bringen sie unter die Leute. Vorbild waren und sind die Lektüreabende des fast zeitgleich in der Stadt gegründeten Thomas-Mann-Kreises Berlin. Der Haken: Von Anfang an zeichnete sich ab, dass sich selbst im Klaus-
Mann-Lager nur wenige finden, die Klaus Mann wirklich im Vorfeld lesen und sich in einer Gemeinschaft darüber austauschen würden. Ein Lektüreabend zu einem Roman Klaus Manns? Ein gewagtes Unternehmen! Es bestand die reale Gefahr, dass der Abend in Peinlichkeit enden würde, wenn er überhaupt zustande käme. Der Einfall: Zu Beginn der Veranstaltung stimmt eine Art „Literarisches Quartett“ auf den Abend ein, setzt den Schwerpunkt und legt die Grundlage für eine Diskussion. Und für den Fall der Unbelesenheit des Publikums gibt es einen „Plan B“: die Weiterführung des „Quartetts“. Reich-Ranicki & Co. kamen doch auch ohne Beteiligung des Publikums aus. Allerdings war ein Gast von Anfang an gesetzt: Dr. Fredric Kroll, der deutsch-amerikanische Komponist und Nestor der Klaus-Mann-Forschung!
Dem Aufruf, ein zu behandelndes Werk zu benennen, folgte ausschließlich die jüngere Generation. „Treffpunkt im Unendlichen“ wurde schnell zum gemeinsamen Nenner. Die passende „Bühne“ fanden wir in Kreuzberg am historischen Ort: das junge Literaturhaus „Lettrétage“ in den ehemaligen Räumen des Schwulen Museums Berlin. Die Vorbereitungen machten richtig Spaß, obwohl es nur selten möglich war, alle vier Akteure an einen Tisch zu bekommen. Dies galt vor allem für die junge italienische Doktorandin Valentina Savietto aus Verona. „Verhandelt“ wurde zumeist per Facebook oder per E-Mail. Und die Erwartungen? In Bezug auf das Publikum gar keine! So konnten wir nicht enttäuscht werden. Aber wie würde sich der „Nestor“ verhalten? Würde er den Verhaltensmustern eines „alten Sackes“ folgen und – einmal das Wort an sich gerissen – davon nicht mehr loslassen? Würde er sich in Ignoranz üben oder sich in Rechthaberei und Arroganz ergießen?
Fredrics Auftreten war grandios. Bevor er das Wort ergriff, drehte er seinen Stuhl um 90°, damit er die ganze Szenerie im Blick hatte. Und diese ihn. Was er in ruhiger Rede sagte, hatte Gewicht. Und: Er fasste sich kurz, um anderen nicht den Raum zu nehmen. Die ganze Zeit hörte er wie gebannt zu und gab uns – sichtlich gerührt – zum Abschluss ein Feedback: „Ich bin sehr dankbar, denn ich habe heute Abend viele neue Sichtweisen auf den Text erfahren.“ Es klang nicht wie eine Höflichkeitsfloskel.
Und so urteilen unsere jugendlichen Mitglied er. Stellvertretend drei Stimmen:
Markus Reiniger (25), Student Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: „Fredric Kroll saß in der Lettrétage gewissermaßen zwischen den Stühlen: Er war ein Akteur, obwohl er augenscheinlich zum Publikum gehörte. Seine Anwesenheit und seine Expertise bereicherten den Abend ungemein!“
Konstantin Rau (24), Student an der Freien Universität Berlin: „Es war schlichtweg großartig mitzuerleben, wie Fredric Kroll in der Materie Klaus Mann aufgehen kann. Er vermag es, sein unfassbares biografisches, literarisches und historisches Wissen derart humorvoll aus dem Hut zu zaubern, dass man meinen könnte, er sei selbst dabei gewesen.“
Last, but not least unser Jüngster: Eric Weigert (24), Student an der Humboldt-Universität Berlin: „Neben seiner außerordentlichen Fachkompetenz, beeindruckte mich, als jüngstes Mitglied der Klaus Mann Initiative, seine Vitalität, sein jung gebliebener Geist, seine große Leidenschaft für die Literatur.“
Anmerkung: Der Text wurde exklusiv für den Band „Treffpunkt im Unendlichen. Fredric Kroll – ein Leben für Klaus Mann“ (Verlag Männerschwarm Hamburg, 2015; Siehe unten!) geschrieben. Um die Aufnahme des Textes in den Band entbrannte ein Streit zwischen dem Autor Frank Träger und dem Herausgeber Detlef Grumbach, der nicht beigelegt werden konnte. Unabhängig davon sei der Erwerb des Bandes an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen!

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